Karte 1618

Seidenbau

Seidenbau meint alle zur gewerblichen Produktion von Seide notwendigen Maßnahmen wie die Aufzucht von Seidenraupen, welche den Rohfaden liefern, die Anpflanzung und Pflege der Maulbeerbäume, deren Blätter den Seidenraupen als Nahrung dienen, und die Verarbeitung der Rohseide zu Faden und Gewebe. Erste Versuche eines Seidenbaus hat es in Brandenburg bereits gegeben, nachdem in Folge des Potsdamer Edikts von 1685 die Réfugiés genannten hugenottischen Glaubensflüchtlinge aus Frankreich eingewandert waren und neben vielen anderen auch diese handwerklichen Kenntnisse mitbrachten. In der Gegend von Berlin und Potsdam entstanden Maulbeerbaum-Plantagen und Seidenraupen-Farmen, doch war dieses merkantilistisch motivierte Gewerbe, das Preußen von ausländischer Seidenlieferung unabhängiger machen sollte, Anfang des 18. Jahrhunderts fast schon wieder vergessen. Erst Friedrich II. begann mit der systematischen Förderung des Seidenbaus, zu der die Anwerbung ausländischer Spezialisten, die Schulung von Interessierten und die kostenlose Verteilung von Lehrmaterial, Maulbeerbaumsamen und Eiern des Seidenspinners bombyx mori ebenso gehörten wie finanzielle Starthilfen für Anfänger, staatliche Preisgarantien und Prämien für überdurchschnittliche Erträge an Rohseide. Die Anstrengungen, die bereits vor dem Siebenjährigen Krieg eingesetzt hatten, verdoppelten sich danach mit den Erträgen und steigerten sich zum königlich anbefohlenen Seidenbau. In einer Order von 1775 schrieb Friedrich II.: "Ich wünsche, dass jeder Bauer sich damit beschäftigt. Wenn ein Bauer auch nur so viel Maulbeerbäume oder Hecken anlegt, dass er ein oder zwei Pfund gewinnen kann, so ist das ziemlich hinreichend, davon seine Kontributionen zu bezahlen." Königlich preußische Plantageninspektoren reisten durch Brandenburg, berieten die Seidenbauer und kontrollierten die Fortschritte. 1784 erreichte die preußische Produktion mit 13432 Pfund Rohseide ihren höchsten Stand. Allerdings machte diese Menge nur fünf Prozent des preußischen Bedarfs an Seide aus, der grosse Rest musste nach wie vor importiert werden, so dass man kaum von einem lohnenden Erwerbszweig sprechen konnte. Dass trotz aller staatlichen Investitionen kein nennenswerter Seidenbau in Brandenburg entstand, lag neben den ungünstigen klimatischen Bedingungen auch daran, dass die Bauern mit der Zusatzaufgabe überfordert waren. Sie schafften es noch, die Maulbeerbäume zu pflanzen und zu pflegen, aber nicht, sich um die empfindlichen Seidenraupen fachgerecht und mit dem erforderlichen, nicht geringen Zeitaufwand zu kümmern. Sie werden deshalb nicht unfroh gewesen sein, als sie mit dem Tod Friedrichs II. 1786 von der Seidenbau-Pflicht befreit wurden. Nach dem Sieg Napoleons 1806 wurde das Import-Verbot für französische Waren aufgehoben und damit die kostenintensive einheimische Produktion, die nicht mehr staatlich gefördert wurde, auch für Händler und Manufakturbesitzer unattraktiv. Danach betrieben nur noch Hobbyzüchter den Seidenbau, doch ist es ihnen zu verdanken, dass nach 1825, unterstützt durch den Verein zur Förderung des Gewerbefleißes in Preußen, eine Renaissance des Gewerbes einsetzen konnte und Seidenwarenfabriken in Brandenburg entstanden, bis sich mit der Reichsgründung 1871 die Bedingungen noch einmal grundlegend veränderten und dieser Wirtschaftszweig wieder verloren ging.

Der Seidenbau in Preußen

Der Seidenbau in Preußen